Psychologische Beratung versus Psychotherapie

Das Leben birgt immer wieder Herausforderungen, mit denen wir umgehen müssen und an welchen wir wachsen. Wie die Life Event Scale von Holmes und Rahe zeigt können sowohl positive wie auch negative Lebensereignisse uns nachhaltig beeinflussen und uns an unser Belastungsgrenzen bringen.

Gerade dann, wenn die Anforderungen die persönlichen Ressourcen übersteigen und die Person nicht weiss wie damit umgehen, kann eine zusätzliche Beratung nützlich sein um sowohl problemorientierte wie auch emotionsorientierte Coping-Strategien zu stärken.

Das muss noch nicht bedeuten, dass eine Psychotherapie indiziert ist. Psychotherapie ist dann ratsam, wenn jemand unter klar definierten Symptomen mit Krankheitswert leidet, wie zum Beispiel Depression oder Ängste. Häufig sind dafür auch Sitzungen über einen längeren Zeitraum nötig da der Therapeut nach der Problem-/Diagnosestellung und der Zielvereinbarung die Therapieverlauf aufgrund seines Expertenwissens plant und steuert.

Psychologische Beratung

Psychologische Beratung ist meist auf ein spezifisches Problem fokussiert und daher kürzer. Es werden grundsätzlich keine Diagnosen gestellt oder ein Therapieplan angelegt, sondern punktuell oder über einen kurzen Zeitraum nach Lösungen für das jeweilige Problem gesucht. Psychologische Beratung basiert ebenfalls auf wirksamen Konzepten sowie einer menschlich zugewandten, akzeptierenden und wohlwollenden Haltung seitens des Beraters.

Psychotherapie

Psychotherapie bezeichnet die „gezielte professionelle Behandlung psychischer (“seelischer”) Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln“. Die dabei angewandten Verfahren, Methoden und Konzepte sind durch verschiedene Psychotherapieschulen geprägt (Psychodynamische Therapie, Psychoanalyse, Kognitive Therapie, Kognitive Verhaltenstherapie, systemische Therapie, Gesprächspsychotherapie, etc.).

Gemäss Klaus Grawe – einem meiner Ausbildungslehrer – kann man jedoch psychotherapieschulen-übergreifend von 5 allgemein gültigen Wirkfaktoren einer Psychotherapie sprechen.

  • Therapeutische Beziehung: Die Qualität der Beziehung zwischen dem Psychotherapeuten und dem Patienten / Klienten trägt signifikant zu einem besseren oder schlechteren Therapieergebnis bei.
  • Ressourcenaktivierung: Die Eigenarten, die die Patienten in die Therapie mitbringen, werden als positive Ressource für das therapeutische Vorgehen genutzt. Das betrifft vorhandene motivationale Bereitschaften, Fähigkeiten und Interessen der Patienten.
  • Problemaktualisierung: Die Probleme, die in der Therapie verändert werden sollen, werden unmittelbar erfahrbar. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass Therapeut und Klient reale Situationen aufsuchen, in denen die Probleme auftreten, oder dass sie durch besondere therapeutische Techniken wie intensives Erzählen, Imaginationsübungen, Rollenspiele o.ä. die Probleme erlebnismäßig aktualisieren.
  • Motivationale Klärung: Die Therapie fördert mit geeigneten Maßnahmen, dass der Patient ein klareres Bewusstsein der Determinanten (Ursprünge, Hintergründe, aufrechterhaltende Faktoren) seines problematischen Erlebens und Verhaltens gewinnt.
  • Problembewältigung: Die Behandlung unterstützt den Patienten mit bewährten problemspezifischen Maßnahmen (direkt oder indirekt) darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen.

An diesen 5 Wirkfaktoren orientiere ich mich auch in meiner therapeutischen Arbeit.

Supervision

Supervision ist eine Form der Beratung für Mitarbeiter, die zur Reflexion eigenen Handelns anregen sowie Qualität professioneller Arbeit sichern und verbessern soll.

Ohne einen externen Beobachter (Supervisor), der einen neutralen Blick von oben auf eine Situation hat (weil er selbst nicht involviert ist), ist es für jeden Therapeuten schwer von der «Boden»- in die «Vogelperspektive» zu kommen und den Überblick zu behalten. Im direkten Austausch mit dem Klienten zu sein, mitzugehen und mitzuschwingen, und gleichzeitig die Fallkonzeption und die daraus abgeleiteten Schritte und Interventionen in der Therapie im Kopf zu behalten ist nicht immer leicht. Es ist jedoch für den Erfolg einer Psychotherapie wichtig und nötig, den Überblick nicht zu verlieren und sich im Klaren zu sein, warum man als Therapeut was wann macht (welche Intervention wann mit welchem Ziel und zu welchem Zweck). Der Klient ist Experte für den Inhalt seines Problems, und der Therapeut ist Experte für die Steuerung dieses Veränderungsprozesses. Da ist ab und an ein neutraler Blick von aussen mit einer fachspezifischen Diskussion eine wertvolle Bereicherung und Hilfe.

Selbsterfahrung

Der Begriff Selbsterfahrung benennt das Kennenlernen und Reflektieren über das Erleben und Agieren der eigenen Person (Selbst), zum Beispiel in herausfordernden Situationen.

Selbsterfahrung nennt man auch den Prozess im Rahmen einer Ausbildung zum Psychotherapeuten, Familientherapeuten oder Coach, bei dem der angehende Therapeut oder Coach die anzuwendenden Arbeitsweisen und Methoden in der Klientenrolle an sich selbst erfährt.

Die (Einzel- und Gruppen-) Selbsterfahrung ist also ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung zum Psychotherapeuten und Supervisor. Der Ausbildungskandidat erlebt in der Rolle als Betroffener die Methode und die Wirkung an sich selbst, bevor er sie bei Klienten anwendet. Dadurch erfährt er damit verbundene Gefühle (Hoffnungen, Befürchtungen) und erkennt hinderliche Widerstände und förderliche Mechanismen.

Ein wichtiger Aspekt der Selbsterfahrung ist es, seine eigenen wunden Punkte kennen zu lernen und – wenn nötig – sie zu be- und verarbeiten. Nur so kann der Therapeut diese bewusst aus dem Therapiegeschehen mit dem Klienten raushalten und uneingeschränkt in seiner Rolle als Therapeut bleiben.

Eine weitere wichtige Funktion der Selbsterfahrung ist die Beziehungserfahrung in der Rolle des Klienten zum Therapeuten aus Sicht des Klienten: dies ist später dann als Therapeut für eine effiziente therapeutische Beziehungsgestaltung hilfreich.

Online versus face-to-face

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Psychotherapie und psychologische Beratung auch online effektiv ist und nicht zwingend notwendig face-to-face stattfinden muss. Es gibt für beide Modalitäten Vor-und Nachteile.

Ich persönlich ziehe ein direktes Gespräch in meiner Praxis der online-Sitzung aus zwei Gründen vor: erstens ich verwende häufig mein «white board» sowie andere Materialien, die ich in meiner Praxis habe und ich nicht immer digital verfügbar habe. Und zweitens ist es für mich für den Aufbau einer therapeutischen Beziehung und dem Spüren kleiner Nuancen im zwischenmenschlichen Kontakt leichter, wenn die Person direkt anwesend ist. Trotz aller Technik: der «Übertragungsfehler», der notwendigerweise mit der online-Kamera und dem Bild, das man sieht, zusammenhängt (man kann sich nie direkt gegenseitig in die Augen schauen), ist im direkten Kontakt nicht vorhanden.